Das Freiburger Spitalwettrüsten
Der Kanton Freiburg hat ein Problem. Er unterhält ein gut ausgebautes Spitalsystem und bezahlt dennoch jedes Jahr mehr Geld für Patienten, die sich in den angrenzenden Kantonen behandeln lassen. Anstatt sein Angebot entsprechend zu reduzieren, weitet er es nun aus.
Freiburg ist mittendrin. Zwischen den beiden grossen Zentren Bern und Lausanne, zwischen der deutschen und der französischen Schweiz. Das gilt auch für die Spitäler. Diese Rolle störte bis vor kurzem kaum wen. Schon lange geht ein grosser Teil der Freiburgerinnen ausserhalb des Kantons ins Spital, vor allem nach Bern und in den Kanton Waadt.
2012 aber ist die neue Spitalfinanzierung in Kraft getreten. Sie war Teil des überarbeiteten Krankenversicherungsgesetzes des Bundes. Sie sollte das stark regulierte Spitalwesen vereinfachen und möglichst in einen freien Markt verwandeln. Die wichtigsten Neuerungen sind im Erklärfilm zusammengefasst:
Die Gesetzesänderung sollte mehr Wahlmöglichkeiten für die Patienten, und mehr Wettbewerb unter den Spitälern und den Kantonen ermöglichen. Wenn die Auswahl grösser ist, so die Überlegung, könnten einzelne Spitäler auf gewisse Angebote verzichten. Das Schweizer Spitalsystem würde effizienter und günstiger. Der Kanton Freiburg etwa, mit seinen 300 000 Einwohnern, unterhält ein öffentliches Spital mit fünf Standorten über den Kanton verteilt. Das Spital schreibt seit Jahren Verluste in Millionenhöhe.
Die neue Spitalfinanzierung bedeutet für den Kanton Freiburg jedoch in erster Linie massiv höhere Ausgaben für die Spitalaufenthalte seiner Bevölkerung. Zwar hat die Zahl der ausserkantonalen Spitalaufenthalte durch die freie Spitalwahl nur leicht zugenommen. Richtig ins Gewicht fallen diese aber, weil der kantonale Anteil an der Spitalrechnung von rund 50 auf 55 Prozent der Behandlungskosten gestiegen ist.
In absoluten Zahlen hat der Kanton Freiburg damit die viertgrösste Abwanderung von Patienten in der Schweiz. Nur das Wallis, Solothurn und Basel-Land verzeichnen mehr ausserkantonale Spitalaufenthalte. (Quelle: Obsan Dossier 48, 2015)
Diese 77.5 Millionen Franken müsste der Kanton auch aufwenden, wenn die Patientinnen und Patienten sich in Freiburg behandeln liessen. Das ist der Freiburger Gesundheitsdirektorin Anne-Claude Demierre bewusst. «Aber,» sagt sie, «ich würde das Geld lieber in Infrastruktur und Arbeitsplätze hier in Freiburg investieren und nicht in jene der Nachbarskantone.»
Entscheiden in extremen Situationen
Für die Patientinnen hingegen spielt die Frage, welchem Kanton ihre Spitalbehandlung am meisten Wertschöpfung einbringt, eine untergeordnete Rolle. Das zeigen die Erfahrungsberichte von drei Freiburger Patienten. Sie wollten dahin, wo sie kompetente Hilfe vermuteten, unabhängig davon, ob sie wegen eines geplanten Eingriffs oder eines Notfalls mit Ambulanz und Blaulicht ins Spital gelangten.
Wie entscheiden die Patienten, welches Spital ihnen wohl am besten helfen kann? Claudia Schwartz, Anton Bürdel und Ives Raemy haben sich auf Mund zu Mund Propaganda oder eigene, frühere Erfahrungen verlassen; oder aber ein Spital vorgezogen, welches spezialisierte Leistungen anbietet, welche in Freiburg nicht zur Verfügung stehen.
Auch die Freiburger Gesundheitsdirektion hat nach den Gründen gefragt, warum so viele Patientinnen den Freiburger Spitälern den Rücken kehren. In ihrem Auftrag hat das Schweizer Gesundheitsobservatorium Obsan Spitaldaten untersucht und festgestellt, dass mehr als die Hälfte der ausserkantonalen Spitalbehandlungen Leistungen ausmachen, welche auch in Freiburg angeboten werden: Sie fallen entweder in das sogenannte Basispaket der Spitäler, oder betreffen Knochenbehandlungen oder die Geburtshilfe. Die Erhebung zeigt auch, dass zwei Drittel aller ausserkantonalen Behandlungen in Bern und ein Viertel in der Waadt vorgenommen werden.
Weiter führte das Sozialforschungsinstitut M.I.S Trend eine Umfrage unter den Patientinnen und Patienten durch. Dieser zufolge sind die im Spital hauptsächlich gesprochene Sprache und die Empfehlung der Hausärzte die wichtigsten Gründe, weshalb Freiburger einem ausserkantonalen Spital den Vorzug geben.
Eine eigene Auswertung von Daten der Freiburger Notrufzentrale zeigt, dass besonders die Bevölkerung der Randregion nahe Bern dazu tendiert, sich ausserhalb von Freiburg behandeln zu lassen. Das bestätigt auch die Studie von Obsan: Am höchsten ist der Anteil der ausserkantonalen Spitalaufenthalte in den beiden deutschsprachigen Bezirken Sense und See mit 47.3 und 58 Prozent aller Spitalaufenthalte.
Mission Ausbau
Dass Deutschfreiburger häufig lieber nach Bern gehen, anstatt sich im französisch geprägten öffentlichen Spital HFR in Freiburg behandeln zu lassen, ist der Direktion des HFR Spitals nicht neu. «Grundsätzlich versuchen wir, zweisprachiges Personal zu rekrutieren,» sagt die Spitaldirektorin Claudia Käch. Aber das sei nicht immer möglich. Wichtigstes Einstellungskriterium sei immer noch, ob jemand fachlich kompetent sei.
Um die Sprachkenntnisse des bestehenden Personals zu fördern, biete eine Deutschlehrerin seit einigen Jahren Kurse für die 3360 Spitalmitarbeiter an. «Darüber hinaus gibt es Sprachtandems zwischen deutsch- und französischsprachigen Mitarbeitern, welche sich regelmässig austauschen,» erklärt Käch. Und Mitarbeiterinnen können für ein halbes oder ganzes Jahr an einem anderssprachigen Standort im Kanton arbeiten.
Neben diesen Bemühungen für mehr Zweisprachigkeit baut das HFR sein Leistungsangebot aus. Es plant einen Neubau am Hauptstandort Freiburg mit einer ausgebauten Abteilung für Herzmedizin. Erst gerade hat es seine Notfallstation umgebaut und die Geburtsstation ist frisch renoviert worden. «Ohne zu investieren ist es nicht möglich, ein Spital zu führen,» sagt dazu der medizinische Direktor des Spitals, Johnannes Wildhaber. Ebenso wie die Medizin fortschreite, müsse auch ein Spital ständig am Puls der Zeit bleiben. Ausserdem brauche ein Spital die Möglichkeit, spezialisierte Eingriffe vorzunehmen, da beim Eintritt einer Patientin oft nicht klar sei, wie schwer eine Erkrankung oder Verletzung sei. Wenn ein Spital nur noch grundlegende Leistungen anbiete, riskiere es, dass auch einfache Fälle nicht mehr zu ihm gelangen.
Die Freiburger Gesundheitsdirektorin Anne-Claude Demierre ihrerseits nimmt sich der Ärztinnen und Ärzte an, welche laut der Patientenumfrage oft ein Spital ausserhalb von Freiburg empfehlen. In Vorträgen vor den Spital- und Hausärzten und dem Pflegepersonal weist sie darauf hin, wie breit das Angebot der Freiburger Spitäler ist und, dass gemäss der Umfrage die Freiburger Spitäler nicht schlechter sind als jene der Nachbarkantone.
In Sachen Spitalangebot pflichtet Demierre der Spitaldirektion des HFRs bei. Jetzt gelte es, noch mehr in die eigenen Spitäler zu investieren. «Ein Freiburger Spital mit einem breiten Leistungsangebot ist wichtig für den Kanton, damit wir uns in der Schweizer Spitallandschaft behaupten können,» sagt sie.
Dies auch, weil die Universität Freiburg dabei sei, eine medizinische Fakultät aufzubauen. Demnächst führt diese einen Masterstudiengang ein. «Die Universität zählt dabei darauf, dass sie Studierende für Praktika in die Freiburger Spitäler schicken kann, » sagt Demierre. Um attraktiv zu sein für Patienten und um das medizinische Wissen im Kanton zu behalten, müssten die Freiburger Spitäler noch spezialisiertere Leistungen anbieten.
Der Wettbewerb spielt
Der Wettbewerb um Preis und Qualität, den die neue Spitalfinanzierung schaffen wollte, ist im Kanton Freiburg angekommen. Er macht sich mit abwandernden Patienten und mit steigenden Kosten bemerkbar. Der Kanton reagiert darauf, indem er die Flucht nach vorn antritt: Einerseits versucht er, die Hausärzte mehr auf sein Spitalangebot hinzuweisen, andererseits investiert er in seine Spitäler und versucht mit den international renommierten Spitalzentren Bern und Lausanne mitzuhalten.
Ob dieser Plan aufgeht? Der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher zweifelt. Seiner Meinung nach ist die Anziehung der Medizinhochburgen Bern und Lausanne zu gross, um als ländlicher Kanton dazwischen mitbieten zu können.«Die Probleme der Sprache und die Tatsache, dass viele Einwohner auf Bern und Lausanne orientiert sind, lässt sich nicht so leicht korrigieren,» findet er, «den Kanton Freiburg würde es deutlich weniger kosten, wenn er sein Spitalangebot entsprechend verkleinern würde.»
Für die Freiburger Gesundheitsdirektorin Anne-Claude Demierre kommt das nicht in Frage: wegen den mehreren tausend Arbeitsplätzen, welche die Spitäler im Kanton stellen, wegen der Attraktivität der Universität Freiburg und weil immer noch 73.3 Prozent der Freiburger Bevölkerung auf die Spitäler im Kanton zählt. Also investiert der Kanton in seine Spitalinfrastruktur. Und bezahlt zugleich für die Behandlungen in anderen Kantonen.
Der Wettbewerb in der geeinten Schweizer Spitallandschaft spielt. Aber günstiger wird das Spitalwesen für die Freiburger nicht.